Der Rest meines Lebens.

Da liegt eine Zeit vor mir, die ich früher gerne vollständig verplant hätte. Und habe.

So ganz typisch untypisch, vielleicht…mit spätestens Mitte zwanzig einen Mann fürs Leben finden, mit Ende zwanzig verheiratet sein, einen guten Job haben, Häuschen mit Garten, Hund, Pferd und Maus.

Ich bin jetzt vierunddreißig Jahre alt und in den letzten Jahren durchlebte ich mehr als einmal den Moment eines Gefühls, das ich am besten mit Lebensmüdigkeit beschreiben kann.

Müde vom Suchen. Müde vom Kämpfen. Müde vom mich in Schablonen pressen lassen. Müde vom unkultivierten Streiten. Müde vom Rechtfertigen. Müde vom Bekriegen. Müde von Enttäuschungen. Müde von Lügen. Müde vom Messer im Rücken. Müde von Schmerzen. Müde von der Entdeckung meiner eigenen ungewollten Langsamkeit. Müde von allem Negativen, das häufig so geballt und hart auf mich zugeschossen kam, dass mir die Luft und der Mut und, das wichtigste, die Hoffnung weg blieb.

Schon als Kind fühlte ich mich durch meine Hochsensibilität fremd auf dieser Welt. Fremd und falsch. Das lag nicht an meiner Umwelt. Dieses Gefühl kommt noch immer dann und wann hochgewabert, oft in Momenten, in denen ich merke, dass ich mich selbst zu etwas zwinge oder ich mich drängen lasse.

Soviel Action auch gerade herrscht, ich benötige in freien Stunden immer mehr und längere Ruhephasen. Meine Freizeit packe ich nicht mehr bis zum Erbrechen voll. Und Höflichkeitsbesuche oder -telefonate habe ich komplett von meiner „Ich-Muss-Ja“-Liste gestrichen.

Wenn mir mein Bauchgefühl vermittelt, dass etwas in eine sehr schiefe Richtung läuft, und diese Angelegenheit sich nicht mit guter Kommunikation klären lässt, ergreife ich die Flucht. Zu erkennen an den Rücklichtern, aufgewirbeltem Staub und dem kleinen Punkt am Horizont, der immer kleiner wird.

Diese Phase des sich aufbauenden Selbstvertrauens und der Achtsamkeit sorgt für viele gelassene Federn. Federverlust tut manchmal ganz schön weh. Loslassen ist manchmal echt scheiße und ich mag dieses Gewirre ums Loslassen müssen eh überhaupt nicht leiden. Doch nötig ist es dann und wann…egal, wie man es nennt.

Aufräumen.

Zur Ruhe kommen.

Gucken:

Hey, WAS tut WO weh?

Annehmen:

Okay, mir tut da was weh.

Erkennen:

DAS tut DA weh.

Warum?

Deshalb.

Denken.

Wo möchte ich hin?

Was will ich?

Und:

Was will ich auf gar keinen Fall?

Grenzen setzen und gleichzeitig den Horizont Horizont sein lassen.

Ich möchte mich nicht selber um Möglichkeiten berauben, die sich mir eröffnen aufgrund dessen, was ich kann.

Es tut gut, zu sehen, welche Entwicklungen stattfinden und der Schmerz über scheinbar Verlorenes wird plötzlich immer kleiner.

Wenn das, was geht, positive Reste übrig lässt, kann ich selbst nach Fehlentscheidungen sicher sein, daraus zu lernen, damit zu arbeiten und so bei mir selbst bleiben zu können.

Wie lang und breit ist er denn nun, der Rest meines Lebens? Wo sind die Pläne hin, von einst? Welche Einstellung zum Leben fühlt sich wie an? Was erlaube ich mir? Wer geht welche Wege mit mir, wen darf ich für wie lange begleiten?

Hände halten, sich festhalten mit der Option, die Fingerspitzen ohne zu Klammern voneinander zu lösen, wenn die gemeinsame Richtung keine mehr ist.

Schmerz lass nach.

Ich bin immer noch Kind. Wenn ich diese Zahl 34 lese, habe ich das Gefühl, gar nicht hinterher zu kommen. Mitte 30? Oha.

Ich bin immer noch Kind. Eines, das den Ernst des Lebens bis zur völligen Ersättigung spüren durfte und noch immer darf.

Ich bin immer noch Kind. Eines, das heimlich noch immer strahlt, wenn es Hello Kitty Klammotten oder Polly Pocket sieht.

Ich bin immer noch Kind. Eines, das sich diebisch freut, wenn es mit den kleinsten Größten unserer Gesellschaft die dollsten Dinge aushecken darf, obwohl wir wissen, das gibt im Falle des Erwischens eins auf die Nuss.

Ich bin immer noch Kind. Eines, dessen Herz hüpft, wenn es irgendwo einen Spielplatz sieht.

Ich bin immer noch Kind. Eines, das an das Gute in den Menschen glaubt und die Hoffnung wiedergefunden hat, obwohl unterschiedlichste, höchst erwachsene, ekelhafte Mächte versucht haben, sie zu zerstückeln.

Ich bin immer noch Kind. Sauge Neues auf und inhaliere Farben, Geräusche und Düfte.

Das Kind in mir gibt jeder Gelegenheit eine Chance, besser zu werden als all die Katastrophen, durch die es aus der Bahn geworfen wurde.

Es verurteilt und bewertet nicht. Es fragt Löcher in den Bauch und ist ab und an ziemlich schnell beleidigt. Es weint und es lacht. Es verzweifelt manchmal. Es besinnt sich. Es umarmt und liebt. Es schenkt Vertrauen. Es vertraut sich selbst. Es klettert und rennt wieder umher. Es tanzt im Regen und isst Schnee. Es malt Kreidefiguren auf die Straßen und klebt sich Glitzerkonfetti ins Gesicht. Es schmiedet Pläne…

…für die nächsten Tage, Wochen, Monate und vielleicht auch Jahre.

 

 

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